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莫言瑞典学院演讲:《讲故事的人》德语版

沪江德语整理 2012-12-10 10:05

Eine andere Episode ist mir tief im Gedächtnis haftengeblieben. Eines Mittags im Herbst gönnten wir uns einmal Jiaozi, das sind gedämpfte Teigtaschen, zum Mittagessen. Es gab nicht mehr als eine Schüssel pro Nase. Während des Essens klopfte ein alter Bettler an der Tür. Ich wollte ihm eine halbe Schüssel getrocknete Süßkartoffel geben, er aber sagte verärgert: „Ich bin ein alter Mann. Ihr labt euch an Jiaozi und mich wollt ihr mit getrockneter Süßkartoffel abspeisen. Habt ihr kein Herz?“ Ich erwiderte empört: „Wir essen im Jahr selten genug Jiaozi, und dann gibt es gerade einmal eine Schüssel für jeden. Wir werden selbst kaum satt, was hast du also an etwas getrockneter Süßkartoffel auszusetzen? Wenn du sie nicht willst, dann eben nicht!“
Meine Mutter sah mich vorwurfsvoll an und leerte die Hälfte ihrer Jiaozi in die Schüssel des Bettlers.
Dann erinnere ich mich noch daran, wie ich einmal mit meiner Mutter Chinakohl verkaufen ging. Mehr oder weniger absichtlich berechnete ich einem Käufer einen Mao zuviel. Dann machte ich mich auf den Weg in die Schule. Nach der Schule traf ich meine Mutter weinend zuhause an, obwohl sie sonst selten weinte. Anstatt mich auszuschimpfen, sagte sie nur ruhig zu mir: „Ach mein Sohn, deinetwegen verliert deine Mama das Gesicht.“
Als ich zehn Jahre alt war, wurde meine Mutter schwer lungenkrank. Wir alle litten unter Hunger, Krankheit und Erschöpfung und sahen kein Licht am Ende des Tunnels. Ich fühlte dunkle Vorahnungen in mir aufsteigen und fürchtete, Mutter könnte sich etwas antun. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, rief ich als erstes nach meiner Mutter. Wenn sie antwortete, fiel mir jedes Mal ein Stein vom Herzen. War nichts zu hören, erschrak ich zu Tode und rannte alarmiert von einem Zimmer ins andere. Eines Tages konnte ich sie nirgends finden. Ich setzte mich in den Hof und weinte. Da kam Mutter mit einem Bündel Feuerholz zum Tor herein. Es gefiel ihr gar nicht, mich so zu sehen. Unmöglich konnte ich ihr meine Ängste beichten, aber sie durchschaute mich ohnehin. „Keine Sorge, mein Sohn. Ich habe zwar wenig Freude in diesem Leben, aber bevor mich die Axt des Höllenfürsten trifft, werde ich mich nicht davonmachen.“
Ich war immer ein häβliches Kind. In unserem Dorf machten sich viele Leute offen über mich lustig und ein paar fiese Mitschüler hänselten und verprügelten mich. Wenn ich dann verstört nach Hause kam, sagte meine Mutter: „Mein Kleiner, du bist nicht häβlich. Dir fehlen weder Nase noch Augen noch sonst etwas. Du hast alles, was man haben muβ, wie könntest du häβlich sein? Und mit einem guten Herzen und guten Taten wirst du sogar eine Schönheit werden.“ Später, als ich in die Stadt gezogen war und einige vermeintlich kultivierte Leute über mein Aussehen spotteten, dachte ich an die Worte meiner Mutter und sah ihnen das gelassen nach.
Meine Mutter konnte weder lesen noch schreiben, hegte aber großen Respekt vor Menschen, die des Schreibens mächtig waren. Wir führten ein Leben in Armut und hatten häufig nur eine Mahlzeit am Tag, doch wenn ich meine Mutter um Geld für Bücher und Schreibzeug bat, entsprach sie meinem Wunsch immer. Sie war ein arbeitsamer Mensch, für ein faules Kind hatte sie wenig übrig. Wenn ich aber meiner Bücher wegen die Arbeit vernachlässigte, ließ sie mich gewähren.
Eine Zeitlang besuchte ein Geschichtenerzähler unseren Markt. Ich stahl mich heimlich davon, um seinen Geschichten zu lauschen, und vergaß darüber die Arbeit, die mir meine Mutter aufgetragen hatte. Zuerst schimpfte sie mich aus. Am Abend, als sie im Schein der Petroleumlampe Baumwollkleider für uns fertigte, konnte ich nicht an mich halten und wiederholte ihr die Geschichten, die ich am Nachmittag auf dem Marktplatz gehört hatte. Sie regierte zunächst ungehalten, denn im Grunde ihres Herzens hielt sie solche Geschichtenerzähler allesamt für Scharlatane, die keiner anständigen Arbeit nachgingen. Aus deren Mündern konnte nichts Gutes kommen. Doch dann ließ sie sich von der Geschichte in den Bann schlagen. Am darauffolgenden Markttag entband sie mich meiner Aufgaben und schickte mich stattdessen eigens auf den Markt zum Geschichtenhören. Aus Dankbarkeit, und um vor ihr mit meinem guten Gedächtnis zu prahlen, gab ich ihr die am Tage gehörten Geschichten bis auf das kleinste Detail wieder.
Schon bald gab ich mich nicht mehr damit zufrieden, die Geschichten anderer nachzuerzählen und schmückte sie immer weiter aus. Ich änderte nach dem Geschmack meiner Mutter ab, dichtete ein paar Handlungsstränge hinzu und manchmal erfand ich sogar ein anderes Ende. Meine Mutter war bald nicht mehr meine einzige Zuhörerin, auch meine große Schwester, meine Tante und meine Großmutter gesellten sich dazu. Nachdem sie sich meine Geschichten angehört hatte, sagte meine Mutter manchmal sorgenvoll, halb zu sich selbst und halb zu mir: „Mein Sohn, was wird einmal aus dir, wenn du groß bist? Ob du wohl mit deinem geschwätzigen Mund dein Geld verdienen kannst?“
Ich konnte Mutters Sorgen gut verstehen. Geschwätzige Kinder waren bei uns auf dem Dorf nicht wohlgelitten und brachten sich und ihrer Familie nur Ärger ein. In meiner Erzählung „Der Ochse“ geht es um solch einen schwatzhaften Jungen, der im ganzen Dorf geächtet wird. Dieser Junge hat etwas von mir in meinen Kindertagen.
Meine Mutter ermahnte mich immer wieder, nicht so viel zu reden, und hätte sich sicher ein schweigsames, zurückhaltendes Kind gewünscht. Doch auch wenn meine offensichtliche Wortgewandtheit und mein starker Rededrang besorgniserregend waren, bereiteten meine Geschichten meiner Mutter viel Freude. Es war ein schwer zu lösendes Dilemma.
„Es ist leichter, Berge und Flüsse zu versetzen, als den Charakter eines Menschen zu ändern“, heißt es. An meiner Neigung zur Schwatzhaftigkeit hat sich wenig geändert, auch wenn meine Eltern beharrlich versuchten, sie mir auszutreiben. Mein Künstlername „Sprich nicht!“ ist daher mit bewuβter Ironie gewählt.
Ich mußte meine Schulausbildung noch vor dem Abschluβ der Grundschule beenden. Da ich aber eher schwächlicher Natur war und für schwere Arbeit nicht taugte, muβte ich auf das Feld hinaus und Kühe und Schafe hüten. Wenn ich die Rinder und Schafe an der Schule vorbeitrieb, konnte ich meine ehemaligen Mitschüler im Schulhof herumtoben hören und wurde ganz schwermütig. Ich erfuhr am eigenen Leib, was es heißt, wenn ein Mensch – und besonders ein Kind – zu einem Außenseiter wird.
Draußen auf den Feldern ließ ich die Herden frei herumlaufen und weiden. Über mir gab es nur das Blau des Himmels und vor mir die unendliche Weite des Graslands, weit und breit war keine Menschenseele. Man hörte nur das Zwitschern der Vögel. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Zuweilen lag ich rücklings ins Gras und betrachtete die am Himmel vorüberziehenden Wolken und vor meinem inneren Auge tauchten unerklärliche Phantasiegebilde auf. In unserer Gegend kursierten damals zahlreiche Fabeln um den Fuchs, der sich in ein schönes Mädchen verwandelte. Ich stellte mir vor, daβ diese Fuchsfee erscheine, um mit mir zusammen Rinder zu hüten; aber sie tauchte nie auf. Einmal jedoch kam unvermittelt aus dem Gras ein feuerroter Fuchs hervor, so daβ ich vor Schreck auf den Hosenboden fiel. Im Nu war der Fuchs spurlos verschwunden, und ich blieb zitternd zurück. Hin und wieder hockte ich mich neben ein Rind, sah in seine tiefblauen Augen und betrachtete mein Spiegelbild darin. Dann wieder imitierte ich Vogelstimmen und versuchte mit den Vögeln am Himmel zu kommunizieren, oder ich schüttete einem Baum mein Herz aus. Doch weder die Vögel noch die Bäume verstanden mich.

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